Wilde Natur am Strassenrand:
Ist die Isleten nur ein Kieshügel im See
oder ein echtes Kleinod?
Ein mittägliches «Sünnele» am Badestrand der Isleten und der Versuch, ihren Zauber einzufangen – den es so nicht mehr lange geben wird.Â
Denn Samih Sawiris wird hier eine Hotelanlage mit Hafen bauen.

Wilde Natur am Strassenrand:
Ist die Isleten nur ein Kieshügel im See
oder ein echtes Kleinod?
Ein mittägliches «Sünnele» am Badestrand der Isleten und der Versuch, ihren Zauber einzufangen – den es so nicht mehr lange geben wird. Denn Samih Sawiris wird hier eine Hotelanlage mit Hafen bauen.

Was bedeutet mir diese Geschichte?
Was für ein Privileg das Leben als Journalistin sein kann! Beim Bädelen wurde mir etwas klar: Wahrer Charme liegt nur in Dingen, die sich ohne Regulierungen organisch entwickeln.
Vielleicht weiss das Sawiris und wird seiner Neuentwicklung der Isleten diese Freiheit gestatten, sodass sie in ein paar Jahren – dann zwar einen neuen – aber wieder ihren eigenen Charme hat.
Meine Haut kribbelt. Ich glaube, ich bekomme einen Sonnenbrand. Irgendwo in der Ferne läuten Kirchenglocken, das Wasser plätschert und lullt mich ein. Eine verführerische Trägheit erfasst mich: Ich bin zu faul, Sonnenmilch einzucremen. So stell ich mir die «Ilha de Flores» vor. Doch ich bin nicht im Atlantik. Ich bin das erste Mal an der Isleten. Die kleine «Insel» ist kaum grösser als ein Viertel-Fussballfeld und grenzt an eine Strasse, die zwar wenig befahren ist, deren Existenz jedoch meine romantische Vorstellung eines naturbelassenen Ortes ad absurdum führt.
Auch der Weg zum Badeglück fühlt sich nicht wie eine Expedition in die Natur an, sondern vielmehr wie der Besuch im Freibad: zunächst ein heiss-staubiger Parkplatz, dann an Dixie-Toiletten und einer Beach-Bar vorbei, entlang der Strasse zwischen Rentnern in Wanderkleidern und über einen Trampelpfad von der Strasse auf den Kies-«Strand».
Schiffe schauen, bräteln und die Ruhe geniessen
Doch sobald das Delta betreten ist, präsentiert sich ein zeitloses Idyll: Jung und Alt baden hier, ein Grossvater übt mit seiner Enkelin Stand-up- Paddling und ein Vater zeigt seinem Sohn von der Picknickdecke aus ein Schiff: «Schau, das ist eine Naue.» Rund 50 Leute scheinen die unaufgeregte Stimmung zu geniessen. Was zieht die Menschen hierher?
Susann, 46, erzählt: «Ich komme seit meiner Kindheit hierher, zuerst mit meinen Eltern, dann mit meinen Kindern, die hier schwimmen gelernt haben.» Mehrmals die Woche sei sie hier am «Sünnele», und so kenne sie meist auch viele andere Badende. Sie geniesse das, aber auch die Ruhe gepaart mit den Schiffen, die ab und zu ganz nah vorbeifahren: «Das macht den Ort speziell.»
Ein paar Meter entfernt sammeln Christa, 58, und Michael, 61, Schwemmholz zum Grillieren. Sie kommen seit über 30 Jahren zweimal pro Jahr aus dem Baselbiet hierher. Sie lieben das sanfte Plätschern des Wassers – hier sei es wie im Meer –, nur ohne Salz «und auch bei 30 Grad weht noch ein Lüftli».
Die Ursprünglichkeit der Natur
Im Schatten sitzt eine Familie mit Urner Wurzeln aus Schwyz, die hier jährlich ihre Ferien verbringt. «Hier ist es so ruhig und natürlich – wirklich ursprünglich.» Trotz der nahen Strasse empfinden alle Besuchende die Isleten als sehr naturnah, denn das Delta ist durch Föhnstürme und Wasser ständig in Bewegung. Bei so viel Natur war die Familie «leicht schockiert», als vor ein paar Jahren die Beach-Bar an der Strasse eröffnete. «Doch wir haben uns daran gewöhnt, es ist noch herzig.»
Die Natur zieht auch viele Wassersportler an – wie die beiden Windsurfer Stefan, 63, und Roland, 66, die sich hier vor rund 15 Jahren kennengelernt haben. Heute warten sie am Ufer auf besseren Wind. Regelmässig kommen sie von Zug aus hierher, «denn die Isleten ist neben Silvaplana der beste Thermik-Spot in der Schweiz».
Die Wassersportler haben schon oft für einen übervollen Strand gesorgt, doch 2021 wurden Regeln eingeführt, die unter anderem das Kiten im Hochsommer verbieten, sodass sich heute alle Badenden einig sind: Hier sei es meist schön ruhig. Am heutigen Mittwoch bestätigt sich das, trotz der ersten Sommerferienwoche.
Die grosse Sorge vor Veränderung
Sebastian, 27, bringt eine Besonderheit der Isleten dann auf den Punkt: «Ich finde es gut, dass es ein Platz ist, der wirklich für alle aus allen Gesellschaftsklassen zugänglich ist.» Mit dem Bus von Altdorf oder mit dem Schiff ab Flüelen erreicht man den Badeort in rund 30 Minuten.
Aber auch ein weiterer Weg scheint sich zu lohnen: Im Wasser tollt ein verliebtes Pärchen – junge Touristen aus Dänemark und Wales. Sie sahen den See von der Strasse am gegenüberliegenden Seeufer und wollten hier unbedingt mit ihrem Camper übernachten: «Wir sind begeistert, es ist ein wunderschöner Ort. Wir können gar nicht glauben, dass die Isleten noch nicht zu einem Touristen-Hotspot entwickelt wurde.»
Und mit diesem Satz durchbrechen sie die Badeidylle. Denn unwissend sprechen sie einen wunden Punkt an, den hier alle beim «Bädele» im Hinterkopf haben. «Wir machen uns schon Sorgen, wie es mit der Isleten weitergeht, wenn Samih Sawiris hier sein Tourismusprojekt realisiert. Wir glauben nicht, dass es etwas für die Menschen von hier sein wird», so sieht das die Familienmutter Nathalie, 46. Und trifft damit den Ton aller Badenden.
Die Feierlichkeit des Müssiggangs
Denn niemand vermisst hier eine richtige Umkleide, einen besseren Zugang oder gar richtige Toiletten. Und auch wenn weit und breit kein Güselkübel zu sehen ist, liegt kein Müll herum. Offensichtlich geniessen alle die Isleten auch deshalb, weil sie so unprätentiös ist. Wie sie seit der Kindheit ihrer Urner Besuchenden ist und wie sie auch bleiben soll.
Ich «sünnele» immer noch und frage mich, ob ich diesen Ort nun speziell schön finde, oder beschliesse, dass es einfach nur ein Kieshügel im See ist – und langsam glaube ich, das Atlantik-Gefühl zu verstehen: In einer Welt, in der sehr vieles geregelt ist, kann ich hier ohne Eintritt einfach sein. Von Wasser umgeben, nahe am, aber doch losgelöst vom Alltag, an einem Bachlauf, der sich ungeachtet der Menschen stetig ändert.
Besser als ich hat wohl Mark Twain diesen einfachen Zauber in den «Abenteuern des Huckleberry Finn» beschrieben: «Wir angelten und redeten, und hin und wieder sprangen wir ins Wasser, um unsere Schläfrigkeit zu vertreiben. Es hatte irgendwie was Feierliches, auf dem Rücken zu liegen und den grossen stillen Strom hinabzutreiben.