Gibt es einen Wohlstand ohne Wachstum?

An den Engelberger Dialogen sollte diese Frage beantwortet werden. Während kleine Schweizer Unternehmen zeigten, wie nachhaltig produziert und gewirtschaftet werden kann, blieb das Podium die Antwort auf die grosse volkswirtschaftliche Frage schuldig.

Gibt es einen Wohlstand ohne Wachstum?

An den Engelberger Dialogen sollte diese Frage beantwortet werden. Während kleine Schweizer Unternehmen zeigten, wie nachhaltig produziert und gewirtschaftet werden kann, blieb das Podium die Antwort auf die grosse volkswirtschaftliche Frage schuldig.

Was bedeutet mir diese Geschichte?

Ich besuchte dieses Podium mit grosser Neugier: Denn ein Wohlstand, der auf keinem, oder einem nachhaltigen Wachstum begründet, mutet wie eine eierlegende Wollmilchsau an. Ich war auf Lösungsansätze gespannt, lernte aber vor allem, wie man diskutiert und dabei klug tönt.

In Obwalden stellt man sich jährlich den grossen Fragen dieser Welt. An den von der Academia Engelberg veranstalteten Engelberger Dialogen wurde in den vergangenen Jahren über Migration, Energieknappheit und Plastik diskutiert. Das gewählte Thema dieses Jahres ist «Wohlstand ohne Wachstum». Das klingt nach trockener Ökonomie und so ist der Kursaal bei der öffentlichen Podiumsdiskussion am Donnerstagabend auch überwiegend mit grau melierten Köpfen gefüllt.

Doch wer sich von verklausulierten Formulierungen wie denen des Ökonomieprofessors Christoph Schaltegger («Die These von Gesellschaften als hydraulische Systeme, in denen das Wohlergehen des Einen das Schlechtgehen des Anderen bedingt ist, ist fragwürdig.») nicht abschrecken liess, erlebte einen durchaus unterhaltsamen Abend.

Professor Christoph Schaltegger.

Zwar mag der Geschichts-Quickie von Adam Smith über John Maynard Keynes bis zur Anti-Atomkraft-Bewegung, mit dem Christoph Schaltegger in das Thema einführte, bei manch einem Schulbank-Assoziationen geweckt haben, doch schon bald tat sich ein Potpourri von Themen auf:

Lobende Worte des Talammanns Mike Bacher für Engelberg als aufstrebenden Ort des Bildungstourismus, ein Exkurs über die desaströse wirtschaftliche Lage Deutschlands und Schokolade, die dank Luftblasen ressourcenschonend ist und damit für Heiterkeit sorgte.

Ausserdem versicherte Obwaldens Volkswirtschaftsdirektor Daniel Wyler: «Hier in der Zentralschweiz ist man noch vernünftig unterwegs.»

Nachhaltigkeit ohne Freiheitsfeindlichkeit

Um die grosse Frage des Abends «Wohlstand ohne Wachstum» einzuleiten, wählte Schaltegger eine knifflige Diskussionseröffnung: «Wünschenswert wäre es, wenn wachstumskritische Diskurse offener und bewusster mit ihren freiheitsfeindlichen Aspekten umgingen.» Damit mussten sich Wachstumskritiker an diesem Abend erst von Klischees lösen, um eine lösungsorientierte Debatte führen zu können.

Doch die geladenen Podiumsgäste konnten ganz ohne Verbote, dafür mit den konkreten Beispielen ihrer nachhaltigen Unternehmen überzeugen: Christian Fanger mit seiner Obwaldner Pilzproduktion, Regula Fallegger mit ihrer Sarner Lebensmittelrettung im grossen Stil, Alex von Hettlingen mit einer Lernplattform für eine regenerative Landwirtschaft und Sidonia Gartelmann mit dem Reparaturcafé, das für mehr Nachhaltigkeit in Engelberg sorgt.

Um die Frage des Abends dann aus Sicht eines grösseren Unternehmens zu beantworten, wäre Ulrich Claessen, Verwaltungsrat der Maxon, prädestiniert gewesen. Doch sein Beitrag zur Diskussion beschränkte sich im Wesentlichen auf die Aussage: «Wachstum gehört dazu. Es ist auch notwendig für die Reduktion des ökologischen Fussabdruckes, denn das wird in Zukunft nicht kostenneutral gehen.»

Christoh Schaltegger, Christian Fanger, Sidonia Gartelmann, Regula Fallegger,
Ulrich Claessen, Daniel Wyler und Alex von Hettlingen.

Nachhaltigkeit durch den Staat?

Volkswirtschaftlich wurde es dann doch, als Schaltegger eine mutige Aussage in Bezug auf die Landwirtschaftspolitik traf: «Eine Subventionierung von allem und jedem finde ich eine Geldverschwendung.» Daraufhin brach Daniel Wyler sofort eine Lanze für die Landwirtschaft, positionierte sich in Bezug auf die restliche Privatwirtschaft aber anders. Er «verwahre» sich dagegen, für unternehmerische Fehlentscheidungen den Steuerzahler zur Kasse zu bitten.

Diese Aussage gab Anlass zu einer grösseren Diskussion darüber, wie viel Staat ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum braucht. Die Frage konnte ganz aktuell am Beispiel des Stahlwerks Gerlafingen abgehandelt werden, das auch aufgrund hoher Energiepreise ums Überleben kämpft und nun staatliche Unterstützung fordert.

Eine Frau aus dem Publikum warf die Frage auf, ob es wünschenswert sei, den Untergang eines Schweizer Unternehmens in Kauf zu nehmen, um dann billigeren, aber weniger nachhaltigen Stahl importieren zu müssen. Die Lösung, um so etwas zu verhindern, wurde den gesamten Abend immer wieder genannt: Auch der CO2-Ausstoss eines Produkts müsste kosten, sodass der Stahl aus China teurer werde. Schaltegger sieht die Schweiz hier auf einem guten Weg, ist aber der Meinung, dass jedes Unternehmen es bis zum «Paradies», in dem alles korrekt eingepreist wird, selber schaffen müsste. Der Zuhörer blieb mit der Frage zurück, wieso die «grüneren» Unternehmen zugunsten grösserer «Umweltsünder» untergehen sollten, wenn das Ziel eigentlich eine nachhaltige Wirtschaft ist.

Was tun mit Gestaltungsmacht?

Daniel Wyler hatte am Anfang des Abends Wohlstand als die Summe von Wohlhabenheit, Wohlbefinden und einer Macht über die Umstände definiert. Am Beispiel Gerlafingen zeigt sich, dass Schaltegger die Gestaltungsmacht der wohlhabenden Schweiz nicht nutzen möchte: «Ich glaube an die Macht des Einzelnen.»

Damit lassen die Engelberger Dialoge ihre Zuhörer mit einer weiteren Frage zurück: Ist ein Professor, der die Meinung vertritt, dass nachhaltiger Wohlstand mit möglichst wenig demokratischer Lenkung erreicht werden kann, der richtige Podiumskandidat? Denn was, wenn nicht mögliche Lenkungsmassnahmen, soll dann diskutiert werden?