Vom Handwerk zur Innovation:
Mit Schwung zum Ski der CO2 speichert
Vom Handwerk zur Innovation:
Mit Schwung zum Ski der CO2 speichert
Vom Handwerk zur Innovation:
Mit Schwung zum Ski der CO2 speichert
In seiner kleinen Skiwerkstatt tüftelt René Unternährer an einer Neuinterpretation der Schweizer Skitradition. Mit Design, Technik und Forschergeist baut er einen„Hightech-Retro-Ski“, der nachhaltig ist und sportlich fährt.
In seiner kleinen Skiwerkstatt tüftelt René Unternährer an einer Neuinterpretation der Schweizer Skitradition. Mit Design, Technik und Forschergeist baut er einen„Hightech-Retro-Ski“, der nachhaltig ist und sportlich fährt.

Was bedeutet mir diese Geschichte?

Wie entstehen die Bretter, die mir im Winter die Welt bedeuten? Allein aus Eigeninteresse fand ich diese Geschichte spannend. Letztendlich lernte ich noch viel mehr: Am Beispiel des Entlebucher Rene Unternährer wurde für mich die japanische Lebensphilosophie des „ikigai“ greifbar.

Die grosse Welt der kleinen Skiwerkstatt

Sind Sie neugierig auf die Geschichte von René Unternährer?

Eine kleine Werktstatt im Entlebuch

Das Radio läuft, die Luft ist stickig und riecht süsslich-herb nach Kleber und Holz. Die Werkstatt im Entlebucher Doppleschwand wirkt etwas aus der Zeit gefallen. Hier fertigt René Unternährer in aufwendiger Handarbeit seine Ski. Tagein, tagaus klebt, schleift und sägt er in dem kleinen Raum.

Langweilig wird ihm dabei nie, berichtet er begeistert: «Es sind rüdig viel verschiedene Arbeitsgänge». Ski, das wird offensichtlich, sind seine Leidenschaft. Zwar ist er in seinem Leben nie Rennfahrer gewesen, doch in seiner Jugend engagierte er sich im Jugendsport. «So habe ich das schöne Hobby weitergegeben», erzählt er mit einem Lächeln.

René Unternährer passt mit seiner Skiwerkstatt in das nostalgische Klischee der «grossen» Skination Schweiz – und arbeitet aktuell an einer technischen Revolution: Ein Ski, der CO2 speichert und dabei noch genauso sportlich und präzise fährt wie ein herkömmlicher Pistenski.

Das ist bemerkenswert, zum einen, weil es perfekt in die Nische nachhaltigkeitsorientierter Bergsportler passt und zum anderen, weil der Schweizer Skimarkt eigentlich schon seit langem seinen Zenit überschritten hat.

Rasante Abfahrt der Schweizer Produktion

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Seit der Gründung des Schweizerischen Skiverbandes im Jahr 1904 nahm der nationale Ski-Enthusiasmus rasant an Fahrt auf:
«Die Schweiz hat bessere Schreiner! Der schweizerische Skibau hat in einer beinahe wissenschaftlich zu nennenden Forschungsarbeit das Beste herausgebracht.»
schrieb die NZZ am 15. Juli 1946.
Unzählige Artikel im Archiv der NZZ zeugen davon, wie wichtig der Skisport im späten 20. Jahrhundert für die Schweiz wurde.
Es wurde rege über unterschiedliche Techniken des Skibaus debattiert, die Entwicklung des
«Schnallenskischuh, dessen Vorteile
bemerkenswert sind»
im Dezember 1961 enthusiastisch begrüsst und die Schweizer Marktposition in Europa analysiert.

Heute kaum mehr vorstellbar, gab es in der Schweiz Zeiten mit mehr als 30 einheimischen Herstellern: Marken wie Attenhofer, Stöckli und Streule begründeten die Tradition der Schweizer Skibauern.

Doch bereits 1961 berichtete die NZZ von einer starken Marktkonzentration: 3 Hersteller deckten 72 Prozent der Schweizer Nachfrage. In den 1980er Jahren folgte dann eine Pleitewelle, die fast alle Schweizer Skihersteller erfasste.

Einzig Stöckli konnte sich seit Beginn des Schweizer Skienthusiasmus mit einer Produktion in der Schweiz halten. Heute deckt Stöckli rund 15 Prozent des Schweizer Skimarktes ab. Neben Stöckli gibt es heute nur noch eine Handvoll kleinerer Produzenten, die ihre Ski in der Schweiz bauen, und so sind rund 85 Prozent der hiesigen Ski importiert.

Damit ist der Schweizer Skimarkt überraschend klein, zieht man in Betracht, dass laut einer Studie des Bundesamts für Sport aus dem Jahr 2020 rund 35 Prozent der Bevölkerung 8 Tage im Jahr Ski fahren. Lediglich die Sportarten Wandern, Radfahren und Schwimmen werden von noch mehr Personen betrieben.

Neue Hoffnungsträger auf dem Skimarkt

Doch seit der Jahrtausendwende versuchen wieder vermehrt kleine Schweizer Skibauern ihr Glück auf dem international umkämpften Markt. Dazu gehören beispielsweise EarlyBird, Zai, RTC, Timbaer und eben auch René Unternährer mit seiner Firma Swiss Massiv. Eine Skifirma mit englischem Namen, die schweizerischer nicht sein könnte. Der Entlebucher hat in den ehemaligen Bäckersräumen seiner Familie einen Skiverkauf eingerichtet.

Der unscheinbare Verkaufsladen am Dorfrand von Doppleschwand spiegelt den klaren Fokus des 60-jährigen René Unternährer wieder. Hier stehen die Ski im Mittelpunkt. Ordentlich aneinandergereiht präsentiert er seine Werke, die durch ihr Design mit Holzmaserung auf den ersten Blick wie fantastisch restaurierte Antiquitäten wirken mögen.

Doch die Ski aus warm schimmernder Entlebucher Eibe und Buche sind «aussen Retro und innen High-Tech», versichert René Unternährer. Der gelernte Bäcker suchte er in den 1980er-Jahren nach einem Urlaub mit Freunden, für den er seine alte Stelle gekündigt hatte, eine neue Arbeit und wurde so Skibauer bei Stöckli. Rund dreissig Jahre später, im Jahr 2012, machte er sich mit Swiss Massiv selbstständig.

Innovationskraft aus Singapur und Entlebuch

«Ein echter Bastler ist er», sagt Forschungspartner Mateusz Wielopolski über René Unternährer. Sein Geschäftskonzept setzt auf simple, aber innovative Qualität. Er verleiht seinen Ski, die er nach dem klassischen Sandwichbau herstellt, einen besonderen Pfiff: Sowohl im Kern als auch in den Seitenwangen verwendet er eine Mischung von Bambushölzern. Dank der geradlinigen Maserung von Bambus werden die Ski so besonders stabil, ohne dabei an Elastizität einzubüssen. Diese Innovation ist bemerkenswert, da sich seit der Entwicklung des Metallskis von 1949, wie wir ihn heute noch fahren, an den verbauten Materialien kaum etwas verändert hatte.

Die revolutionäre Idee, Bambus in der Skikonstruktion einzusetzen, hatten der gelernte Skibauer Unternährer und sein Geschäftspartner, ein promovierter Materialwissenschaftler, unabhängig voneinander.
Unternährer kam die Idee während seiner Arbeit bei Stöckli, während Wielopolski sie in Singapur bei einem Architekturprojekt entwickelte.

Männer aus zwei sehr unterschiedlichen Welten trafen da 2020 aufeinander – und vielleicht ist das das Geheimnis von Swiss Massiv. Der gemeinsam entwickelte Bambus-Ski hätte sich bewiesen:
«Sogar die alte Skilegende Karl Frehsner hat mir bestätigt, dass der Ski gut läuft», berichtet Unternährer stolz.

Bei einem Besuch in der Werkstatt führt René Unternährer mit viel Geduld und Fachwissen vor, wie er seine Ski zusammenbaut. Acht Stunden benötigt er für ein Paar und schafft es so, rund 300 Ski im Jahr zu produzieren.

Der Markt für Ski schmilzt

Doch wird der Skibauer seine 300 Ski pro Jahr auch los? Denn Fakt ist, dass die perfekten Pistentage mit dem voranschreitenden Klimawandel seltener werden.

Während in den 70er Jahren, zu Hochzeiten des Skitourismus, auf dem Säntis noch Spitzenwerte von bis zu 2,5 Meter Schnee pro Jahr erreicht wurden, fielen in den letzten Jahren maximal 1,3 Meter.

Und das hat auch Folgen für René Unternährer. Er berichtet, dass es 2022 zwar sehr gut lief, der Winter 2023 aber schwieriger war: «Der Schnee war viel zu weich. Die gute Stabilität, die der Bambus meinen Ski verleiht, kommt dann nicht zur Geltung». Dadurch konnte er bei den Skitests auf der Piste nicht so viele Ski wie in den vorherigen Jahren verkaufen.

Matuesz Wielopolski fügt an, dass die unsichere Schneelage auch dazu führe, dass Ski eher gemietet statt gekauft werden. Tatsächlich sind die Skiverkäufe in den letzten 40 Jahren um über die Hälfte eingebrochen.

«Swissness» gibt es nicht von jeder«Schweizer»  Marke

Und es ist nicht nur der Klimawandel, der eine Herausforderung für den Skibauern ist.
Viele der seit den 2000er-Jahren neu gegründeten Skiunternehmen produzieren – im Gegensatz zu Unternährer – gar nicht in der Schweiz.
Trotzdem erwecken die Marken für den gutgläubigen Konsumenten den Eindruck, ein vollkommen schweizerisches Produkt zu verkaufen.
So versieht die 2001 gegründete Firma Movement beispielsweise ihre Ski mit einem Kreuz, das an die Schweizer Flagge erinnert, und wirbt auf ihrer Website mit
«europäischem Holz», «90% handgefertigt» und einem «Swiss Style Process» für sich.

Tatsächlich lässt Movement seine Ski jedoch in Borj el Amri in Tunesien zusammenbauen und verkauft sie entsprechend zu günstigen Preisen ab 500 Franken.
Zum Vergleich: Ein Paar Swiss Massiv-Ski von Unternährer kostet 1600 Franken.

Noch problematischer sind für ihn Marken wie beispielsweise fivestar, die ein ähnliches Marketingkonzept fahren, ihre Ski aber in Österreich produzieren und ähnliche Preise wie er verlangen. Für Unternährer fühlt sich das wie eine Marktverzerrung an. Denn trotz höherer Produktionskosten in der Schweiz spürt er den Druck, mit den Preisen der Konkurrenz mitzuhalten. Das ärgere ihn sehr.

Deshalb ist er nun aktiv geworden. Gemeinsam mit dem Schweizer Schreinerverband, dem auch die Skibauern angehören, hat er ein Einschreiben an das Unternehmen fivestar verschickt. Denn ihrem Verständnis nach verstösst fivestar gegen das Swissness-Gesetz.

Das Gesetz besagt, dass das Schweizer Kreuz unter anderem nur dann zu verwenden ist, wenn der Produktionsschritt, der den Ski ihre wesentlichen Eigenschaften verleiht, in der Schweiz erfolgt ist. Beide, Movement und fivestar, benutzen zwar ein Kreuz, allerdings ohne den roten Hintergrund.

Schnelle Ski die CO2 speichern


Vielleicht ist es diese herausfordernde Marktsituation, die René Unternährer dazu angetrieben hat, nun den kleinen und auch grossen Konkurrenzfirmen etwas voraus zu haben: In den letzten zwei Jahren hat er gemeinsam mit Mateusz Wielopolski einen Öko-Ski entwickelt. Der Ski ist deshalb
«öko», weil er komplett wiederverwertet werden kann. Die Entwicklung eines auflösbaren Klebers erlaubt es, den Ski wieder auseinander zu nehmen. Das bedeutet, dass die Einzelteile dann entweder richtig entsorgt werden können, oder aus ihnen ein neuer Ski gebaut werden kann.

In einer Community von Bergsportlern, in der Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert hat, ist Swiss Massiv natürlich nicht die erste Marke, die sich der Entwicklung eines Öko-Skis verschrieben hat. In der Schweiz hatte die Firma
Earlybird bereits 2014 einen nachhaltigen Tourenski entwickelt. Eine Neuheit seien seine Ski trotzdem, betont Unternährer, denn «einen schnellen Ski für harte Pisten gibt es bisher noch nicht im nachhaltigen Marktsegment».

Entsprechend wurde seine Idee auch bereits schon 2022 mit dem «Ideenscheck für Berggebiete» von der Schweizer Berghilfe und der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung mit 15’000 Franken honoriert. René Unternährer investierte das Geld sogleich: In eine Ökobilanz nach ISO-Normen. Seines Wissens nach die erste Bilanz für Ski, die auf echten Produktionsdaten basiert.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Öko-Ski trotz eines höheren Energieverbrauchs in der Produktion und des weiten Transportwegs für das Bambusholz eine um rund 14 Prozent bessere Umweltbilanz erzielt als der «normale» Ski. Das sei vor allem den nachhaltigen Rohstoffen für Kleber und Belag zu verdanken sowie dem Bambusholz, das schnell wächst und dabei viel CO2 bindet. Wielopolski erklärt, dass es Pläne gebe, die Bilanz weiter zu verbessern: «In Zukunft wollen wir das Holz von Plantagen aus Portugal beziehen.» Wenn sie es dann noch schaffen, eine echte Kreislaufwirtschaft mit den Ski aufzubauen, wäre es sogar möglich, dass die Ski zu CO2-Senken werden – so das optimistische Fazit der Ökobilanz.

Die Schweizer Ski-Forschung lebt weiter

Und das ist nicht alles: «Tatsächlich ist die Fahrqualität unseres Öko-Skis nicht nur vergleichbar, sondern er erholt sich sogar schneller als der ‹normale› Slalomski», berichtet Unternährer stolz.

Belegen kann er das mit Belastungstests, die sie gemeinsam mit der Universität Bayreuth durchführten. Sie testen die Biegefestigkeit, Steifigkeit und Erholungsdauer des Skis, um sicherzustellen, dass er nicht zu schnell an innerer Spannung verliert und damit an Fahrverhalten einbüsst.

Damit lebt die in den 1950er-Jahren hochgelobte «beinahe wissenschaftliche Forschungsarbeit» des Schweizer Skibaus im Entlebuch weiter. Gute Entwicklungen allein reichen aber nicht, denn für kleinere Marken ist es offenbar herausfordernd, auf dem Skimarkt zu bestehen: Die Marke Earlybird, die den nachhaltigen Tourenski entwickelte, musste dieses Jahr Konkurs anmelden.

Den Tatendrang von René Unternährer bremst das allerdings nicht. Er hat nun ein Crowd-Funding gestartet, um 20’000 Franken zu sammeln. Von dem Geld möchte er mindestens 20 Paar der neuen Öko-Ski für die kommende Skisaison produzieren. Und er macht auch eine kämpferische Ansage an die grossen Skiproduzenten:

«Wir möchten den etablierten Marken beweisen, dass in puncto Leistung und Umweltfreundlichkeit noch mehr gemacht werden kann als bisher.»