Wie wird das Leben für die Heimatlosen gestaltet?
Zu Besuch im Bundesasylzentrum auf dem Glaubenberg

Man kann Bundesasylzentren aus unterschiedlichen Perspektiven und  betrachten:als Ort der Hoffnungslosen, als teure Betreuung erwachsener Menschen.Â

Oder als einen Ort an dem ein herausfordernder Alltag mit grösstmöglicher Menschlichkeit gestaltet wird.

Wie wird das Leben für die Heimatlosen gestaltet?
Zu Besuch im Bundesasylzentrum auf dem Glaubenberg

Man kann Bundesasylzentren aus unterschiedlichen Perspektiven und  betrachten: als Ort der Hoffnungslosen, als teure Betreuung erwachsener Menschen. Oder als einen Ort an dem ein herausfordernder Alltag mit grösstmöglicher Menschlichkeit gestaltet wird.

Was bedeutet mir diese Geschichte?

Es war mir wichtig einen Einblick zu geben, der ohne Anlass und Agenda einfach zeigt was ist. Die Menschlichkeit, die im Bundesasylzentrum gelebt wird, hat mich selbst überrascht und zutiefst beeindruckt.

Am Glaubenberg liegt augenscheinlich entgegengesetztes ganz nah beieinander: Sonne und Nebel, Tourismus und Einsamkeit, Menschlichkeit und Hoffnungslosigkeit, Zäune und Fürsorge. Das Bundesasylzentrum ist über 600 Höhenmeter der Welt entrückt.

Direkt neben Skilift und Ausflugsrestaurant verbergen Zäune und Sicherheitspersonal den Blick auf das Asylzentrum – eine unbehagliche Perspektive.Doch ein Besuch lehrt, dass Perspektiven sich hier so schnell verschieben, wie die Nebelschwaden über die Hügel ziehen.

Zwar gehen die Zäune des BAZ noch auf das militärische Truppenlager zurück, das hier ursprünglich angesiedelt war, doch Reto Kormann, zuständig für die Kommunikation des Staatssekretariates für Migration (SEM), betont gleich: «Die Leute denken immer, die Zäune sperren die Bewohner ein, aber das Gegenteil ist der Fall – wir schützen sie damit.» Die Bombendrohung gegen die Unterkunft im Jahr 2023 veranschaulicht, dass diese Aussage ernst zu nehmen ist.

Leibesvisitation Glaubenberg

Doch spätestens, wenn eine junge Bewohnerin am Eingang einer „Leibesvisitation“ – einer Sicherheitskontrolle ähnlich der am Flughafen – unterzogen wird, wird klar: Hier werden nicht nur die Bewohnenden vor dem Außen geschützt, sondern auch sie vor sich.

Im Container, in dem sich jeder Besucher vor dem Eintritt registrieren muss, hängen Listen mit vielen Informationen. Die Busfahrzeiten, um nach Sarnen zu kommen, aber auch Regeln. Zum Znacht um 18 Uhr müssen die Ausgeschwärmten wieder zurück sein, und verderbliches Essen darf nicht mitgebracht werden. «Das ist wie im Klassenlager, wenn Essen rumliegt, das schlecht werden kann, ist das nicht toll», kommentiert Kormann. An die Schulzeit erinnern hier auch die Konsequenzen für Regelverstösse: eine gelbe Karte oder Taschengeldentzug.

Drinnen ist es ruhig. Nicht nur die Lautstärke, sondern auch die Stimmung wirkt trotz des strahlenden Sonnenscheins gedämpft. Momentan leben hier nur 104 Menschen, ein Drittel der maximalen Kapazität. Ein, zwei Personen sitzen neben Fussballtoren mit Handy in der Hand auf Plastikstühlen in der Sonne. Der Platz ist umgeben von drei Beton-Holz-Bauten.

Drinnen ist es ruhig. Nicht nur die Lautstärke, sondern auch die Stimmung wirkt trotz des strahlenden Sonnenscheins gedämpft. Momentan leben hier nur 104 Menschen, ein Drittel der maximalen Kapazität. Ein, zwei Personen sitzen neben Fussballtoren mit Handy in der Hand auf Plastikstühlen in der Sonne. Der Platz ist umgeben von drei Beton-Holz-Bauten.

Optimale Bedingungen auf dem Glaubenberg

Reto Kormann lobt die Unterkunft: «Wir dürfen wirklich feststellen: Hier auf dem Glaubenberg sind die Bedingungen im Vergleich zu anderen Zentren optimal.» Denn die Struktur des ehemaligen Truppenlagers mit mehreren Häusern und einem Innenhof, bietet viel Platz und erlaubt es Männer, Frauen und Familien gut aufzuteilen. Patricia Langer von der Asyl-Organisation Zürich, die hier das Betreuungsmandat für das SEM ausführt, fügt an: «Für manche ist es gut, abseits vom Rummel einer Stadt zu sein, sie können hier zur Ruhe kommen.»

Sie führt über das Areal, und mit jedem Raum, den sie zeigt, und jeder Begegnung mit Mitarbeitenden gewinnt das BAZ, das von aussen noch wie ein Gefängnis wirkte, an Menschlichkeit.

Es sind Details, in denen sichtbar wird, wie viel Mühe sich hier gegeben wird, um mit einfachen Mitteln gemeinsam einen guten Alltag mit Menschen aus 26 Nationen zu gestalten. In der Ecke eines Gemeinschaftsraumes stehen Gitarren und ein Schlagzeug, die ein Betreuer in Eigeninitiative organisierte. Als Langer im Freizeitraum mit Billard und Tischtennisplatte ankommt, erzählt sie: «Hier sind schon einige Betreuer zu Profis geworden». Das zeigt, dass in einem BAZ wenig Alltägliches vorgeschrieben ist und es stark am Betreuerteam liegt, wie die Zeit hier ausgestaltet wird.

Marco Giorgi ist vonseiten des SEM für die Unterkunft zuständig und kommt einmal die Woche, um die betrieblichen Belange zu koordinieren, den Kummerkasten zu leeren und eine Sprechstunde abzuhalten. Und so weiss er: «Anlass zu Unmut ist oft, dass Mitbewohner zu laut sind, oder eben der Klassiker: das Essen.» Patricia Langer hakt hier ein: «Aber im Vergleich zu anderen Zentren beschweren sich hier relativ wenige über das Essen, unser Küchenteam ist toll.»

Marco Giorgi

Jobs für Taschengeld sind beliebt

Es gebe zwar auch Rösti, was durchaus gemocht wird, aber auch beispielsweise viel Reis oder «Unmassen an Naturjoghurt, der ist unglaublich beliebt», fügt Kormann an. Dabei muss jedoch aufs Budget geachtet werden: «Käse zum Zmorgen liegt nicht drin», meint Langer und wirft einen verschmitzten Seitenblick auf ihre Kollegen vom SEM. Im Moment hat der Koch jedoch ein Extra: «Wir haben kiloweise Feta geschenkt bekommen, das macht allen gerade eine Riesenfreude.»

Das tägliche Mittagessen ist auch deshalb ein wichtiger Programmpunkt, weil den Asylsuchenden hier ihre Termine, beispielsweise bei der Rechtsberatung oder beim Arzt, mitgeteilt werden. Das BAZ ist eine kleine Welt in sich: Es gibt einen wohlsortierten Raum mit Secondhandkleidung, einen Coiffeursalon, eine Arztstation, einen Fitnessraum, diverse Gemeinschaftsräume, eine Waschküche und einen Gebetsraum.

Damit alles in Ordnung gehalten wird, sind alle dazu angehalten, sich bei der Hausarbeit zu beteiligen. Wer das tut, qualifiziert sich für das «Gemeinnützige Beschäftigungsprogramm» – wie Küchenarbeit oder den Unterhalt von Wanderwegen –, und diese Jobs sind beliebt. Denn damit können zum täglichen Taschengeld von 3 Franken zusätzlich bis zu 30 Franken pro Tag verdient werden. Patricia Langer berichtet: «Die Jobs losen wir aus. Objektiv ist es zwar nicht das gerechteste, aber das am besten akzeptierte System.»

Ein Stuhl darf nicht hinaus in die Welt

Neben den täglichen Arbeiten wird jeden Tag eine Aktivität angeboten. Das kann von Fussball oder Yoga über eine Streichaktion der Wände bis hin zum Basteln von Cupcake-Kerzen reichen. Sogar ein richtiger Liegestuhl wurde geschreinert. Doch anders als die Kerzen darf der nicht am Sarner Markt verkauft werden. «Das wäre ja Konkurrenz zum lokalen Gewerbe, und das ist nicht erlaubt», erklärt Giorgi.

DUFTKERZE GLAUBENBERG

Und wieder verschiebt sich eine Perspektive. Denn mit dem Stuhl ist es ein wenig wie mit den Bewohnern: Ausserhalb des Zentrums gibt es keine unmittelbare Zukunft. So liebevoll der Alltag hier auch gestaltet werden mag, so wenig ist er zielgerichtet oder gar eine Lösung für das Leben der Asylsuchenden. Untergebracht sind hier nur die Geflüchteten, die in der Regel ihre Ausweisung erhalten, da sie unter das Dublin-Abkommen fallen, oder ihr Asylgesuch bereits abgelehnt wurde.

Patricia Langer weiss, dass diese Aussichten den Glaubenberg zu einem Warteraum des Abschieds machen: «Gestern habe ich eine Frau mit einem Deutschbuch gesehen, aber den meisten fehlt die Motivation; es führt ja zu nichts.»

Es zeigt sich: Zwischen Cupcake-Kerzen und Volleyball in der Sonne bröckelt das behutsam erschaffene Miteinander. Die Rechtsberaterin berichtet, wie es sie «tüpft», wenn sie auf Lügen im Asylgesuch hinweisen muss, die in der Verzweiflung erfunden werden. Die Betreuer berichten von aggressiv aufgeladenen Diskussionen. Eine Frau ass mehrere Tage nichts mehr. Andere quälen Selbstmordgedanken. Das Leben hier ist zutiefst fragil. Illustriert wird das von einem Container, neben Fussballtoren, der dafür da ist, Asylsuchende festzuhalten, wenn sie sich oder anderen gefährlich werden.

Ein zerbrechliches Miteinander ist aufwendig

Das Team auf dem Glaubenberg versucht, Risse zu kitten. Um die grossen Gefühle aufzufangen, sind ein Imam und eine Pfarrerin mehrmals wöchentlich vor Ort. «Neuerdings machen wir Atemübungen zusammen, das funktioniert ganz gut», berichtet der Imam. Die Rechtsberaterin antwortet auf Lügen mit entwaffnendem Humor und entspannt so das Gespräch. Unwohlsein und Aggressivität versuchen alle vorzubeugen: Durch tägliches Nachfragen in den Zimmern und ein Konfliktpräventionsteam, das immer auf dem Gelände zirkuliert.

Reto Kormann (links), Patricia Langer und Marco Giorgi.

Für all das braucht es viel Personal: 67,6 Vollzeitstellen in der Betreuung, 21 Securitas und 2 SEM-Mitarbeitende. Bei aktuell 104 Bewohnenden ergibt das einen hohen Betreuungsschlüssel, den Reto Kormann von sich aus anspricht: «Bundesasylzentren müssen schwankungstauglich sein. Wir wissen nicht genau, wann wie viele Geflüchtete kommen, müssen aber immer parat sein, alle bei uns Zuflucht suchenden Menschen unterbringen zu können.»

Fakt ist: Der Personal- und Betriebsaufwand des SEM für alle Bundesasylzentren beträgt 398 Millionen Franken (2022). Das ist zwar viel Geld aus der Sicht eines Bürgers, dabei jedoch nur 1 Prozent der Ausgaben der Schweiz. Und Kormann argumentiert für das etablierte Betreuungskonzept: «Seit rund anderthalb Jahren haben wir neben Betreuenden auch ein Konfliktpräventionsteam. Seitdem sind die sicherheitsrelevanten Vorfälle in den BAZ um 40 Prozent zurückgegangen.»

In der zerbrechlichen Stimmung müssen die Betreuenden einen Balanceakt meistern. Sie stellen ein zutiefst menschliches Programm auf die Beine, das im Angesicht der Hoffnungslosigkeit surreal wirkt. Und auch wenn Assoziationen an ein Klassenlager aufkommen, dann sind es doch immer noch grösstenteils Erwachsene, die hier leben.

Auf dem Gang kreuzt ein Bewohner die Wege von Kormann, Giorgi und Langer.

Voller Energie, in gebrochenem Englisch, sagt er:Â

«Tolles Team, tolle Arbeit hier.»Â

Kormann kommentiert sofort ironisch: «Man könnte meinen, wir hätten das jetzt schön für die Zeitung so arrangiert.» Sie lachen, aber eigentlich sind sie gerührt.

Auf dem Gang kreuzt ein Bewohner die Wege von Kormann, Giorgi und Langer.

Voller Energie, in gebrochenem Englisch, sagt er: «Tolles Team, tolle Arbeit hier.»

Kormann kommentiert sofort ironisch: «Man könnte meinen, wir hätten das jetzt schön für die Zeitung so arrangiert.» Es wird gelacht, aber man merkt ihnen die Rührung an.